Folgend werden die persönlichen Erfahrungen und Meinungen eines unserer Mitglieder von Viamor.de wiedergegeben...
Wenn ich heute überlege oder gefragt werde, ob ich schon immer asexuell war, so muss ich sagen, ja. Das bedeutet aber nicht, dass ich noch nie sexuelle Erfahrungen sammeln durfte. Ganz im Gegenteil. In meines Jugend habe ich experimentiert und lange gedacht, dass es einfach an dem falschen Partner oder der falschen Technik gelegen hat, dass mir der Sex keinerlei Spaß gemacht hat. So habe ich es immer wieder versucht. Mit wechselnden Partnern, mit Männern und Frauen, mit Hilfsmitteln, Rollenspielen, Fetischen und mehr - nur um am Ende des Tages wieder festzustellen - Nein, das erfüllt mich einfach nicht.
Ich habe tatsächlich keine Ahnung, warum ich asexuell bin. Ich weiß nicht, warum ich nichts und niemand wirklich sexuell attraktiv und anziehend finde. Vielleicht ist es Karma und hat mit einem früheren Leben zu tun. Ich weiß nur, dass bei mir kein traumatisches Erlebnis der Auslöser war.
Viele sind asexuell, weil sie in ihrer Kindheit oder Jugend massiv schlimme Erlebnisse über sich ergehen lassen mussten. Nachdem ich mich in den letzten Jahrzehnten intensiv mit diesem Thema beschäftigt habe, weiß ich durchaus, dass es für Asexualität diverse Auslöser gibt. Für mich ist es auch nicht schlimm. Schwierig war es allerdings, einen Partner zu finden. Doch auch das ist nicht unmöglich, auch wenn man asexuell lebt. Und auch hier muss man keine Kompromisse schließen.
Asexuell leben - Kompromisse für eine Beziehung?
Viele Asexuelle denken ja, dass sie Kompromisse machen müssen, um in einer glücklichen Beziehung leben zu können. Und ja, auch ich dachte anfangs auch, dass ich hier von Zeit zu Zeit den Sex über mich ergehen lassen sollte, um einen Partner halten zu können. Mittlerweile bin ich aber schlauer. Ich lebe bereits zwei Jahrzehnte in einer Beziehung, die schöner nicht sein könnte. Wir teilen alles, lediglich Sex spielt in unserer Beziehung absolut keine Rolle. Du siehst also, wenn dir Sex so gar nichts gibt, dann solltest du diesen auch nicht dem Partner zuliebe machen. Ich sage dann gerne über dich ergehen lassen, denn wer asexuell ist der weiß, dass Sex nichts ist, was irgendwie aufregend ist.
Ich kann für mich nur sagen, ich habe nichts gegen Berührungen. Ich gehen gerne mit meinem Partner Hand in Hand, doch generell sind wir von Haus aus nicht die großen Kuschler. Wer zu uns auf Besuch kommt oder sich mit uns trifft, der weiß auch, dass wir beide nicht auf Umarmen und Geküsse links und rechts stehen. Das bedeutet aber nicht, dass wir die Personen nicht mögen. Diese Art die Zuneigung zu zeigen ist halt nicht unsere.
Asexuell zu sein bedeutet aber nicht, dass ich meinen Partner nicht liebe. Ich liebe ihn von ganzem Herzen. In unserer Beziehung fehlt auch nichts. Wir gehen liebevoll miteinander um, haben Respekt vor dem anderen und uns ist keine Sekunde langweilig, wenn wir zusammen sind. Wir haben in unserer Beziehung einfach andere Prioritäten. Ganz ehrlich gesagt denken wir auch so gut wie nie an Sex. Das Thema kommt nur dann zur Sprache, wenn im Freundeskreis von unserer Asexualität gesprochen wird.
Ich bin asexuell und nicht frigide
Während meiner Findungsphase musste ich mir häufig vorhalten lassen, ich sei frigide. Ich halte diesen Ausdruck ohnehin frech und sinnlos. Viele Männer oder auch Frauen aber können nur durch diesen Ausspruch ihren Frust zum Ausdruck bringen, sobald sie bemerken, dass sie den Partner sexuell anscheinend nicht befriedigen konnten. Es liegt auch wirklich nicht an dem Unvermögen eines Partners oder einer Partnerin. Ich habe einfach keinen Spaß am Sex. Das war für mich auch nicht einfach und natürlich habe ich mich in meiner Jugend oft gefragt, was mit mir nicht stimmt. Seitdem ich aber erkannt und akzeptiert habe, dass ich asexuell bin, kann ich damit ganz wunderbar leben. Ich bin mit mir, meinem Körper und meinem Partner im Einklang.
Asexuell bedeutet nicht leben in Abstinenz
Wer sich für ein abstinentes Leben entschieden hat, der muss nicht automatisch asexuell sein. Viele leben aus religiösen Gründen abstinent oder möchten sich aus anderen Gründen keinen sexuellen Aktivitäten hingeben. Wer abstinent lebt kann aber durchaus Spaß an Sexualität haben. Abstinenz kannst du dir als eine Art Diät vorstellen. Wenn ich heute beschließe, dass ich für ein Jahr keine Schokolade essen möchte, dann lebe ich für ein Jahr Schokoladen abstinent. Während dieses Jahres kann ich immer wieder starkes Verlangen nach Schokolade haben. Jetzt liegt es daran, wie ernst ich es mit meiner Abstinenz meine.
Wenn ich die Schokolade nun mit asexuellem Leben vergleiche, dann habe ich einfach keine Lust auf Schokolade. Sie schmeckt mir einfach nicht, gibt mir nichts und es fällt mir aber auch gar nicht schwer, darauf zu verzichten. Wenn ich asexuell lebe, vermisse ich den Sex nicht. Lebe ich aber abstinent, so kann ich durchaus immer wieder Verlangen danach haben.
Wie andere auf meinen asexuellen Lebensstil reagieren
In der Regel ist es nichts, das man ständig herausposaunt. Ich gehe mit meinen sexuellen Vorlieben nicht hausieren. Doch ab und an kommt dieses Thema dennoch aufs Tablett und ich habe auch kein Problem, darüber zu sprechen. Ich schäme mich auch nicht dafür asexuell zu sein, weil es nichts gibt, wofür ich mich schämen müsste. Ich mag andere Menschen, ich kann Liebe empfinden, lediglich fühle ich mich weder von Männern, noch von Frauen sexuell angezogen.
Ich erkenne durchaus, wenn jemand mit mir flirtet. Ich kann auch wunderbar zurück flirten und ich finde auch manche Menschen durchaus attraktiv. Doch diese Attraktivität beschränkt sich lediglich auf die Optik. Für mich ist damit nicht automatisch ein sexueller Reiz verbunden. Im Freundeskreis war es anfangs so, dass viele einfach dachten, dass ich nur noch nie so richtig sexuell angesprochen wurde. Es entstand ein regelrechter Wettkampf und man wollte mir beweisen, dass ich nicht asexuell sei. Ich wurde angeflirtet und man versuchte mich zu verführen. Doch außer, dass es mich belustigte und nach einiger Zeit auch ordentlich nervte, änderte es nichts an meiner Einstellung.
Für mich bedeutet asexuell nichts anderes, als den sexuellen Akt nicht zu mögen. Ich ekle mich nicht davor, ich bin nicht verklemmt oder schüchtern. Es gibt mir lediglich nichts. Ich habe auch keine Schmerzen beim Sex und theoretisch würde bei mir alles funktionieren. Ich sehe nur keinen Sinn darin Sex zu haben, wenn ich die Zeit eigentlich mit schöneren Dingen verbringen kann. Mein Partner und ich verbringen lieber einen Tag in der Sauna, spielen etwas oder gehen spazieren, anstatt Sex zu haben. Und das ist für uns auch absolut richtig.