Androgyne Erscheinung - kein Hype unserer Zeit

Folgend werden die persönlichen Erfahrungen und Meinungen eines unserer Mitglieder von Viamor.de wiedergegeben...

Als androgyn werden generell Menschen bezeichnet, die nicht offensichtlich männlich oder weiblich sind. Oft wird es auch gleich mit einer sexuellen Richtung oder mit Zwitterhaftigkeit in Verbindung gebracht. Doch das ist absolut falsch. Natürlich kann eine androgyne Figur auch absichtlich erreicht werden und sie galt auch einige Zeit als top modern. Ich erinnere mich heute noch, als mir meine Mama das erste Mal ein Foto von dem Fotomodell Twiggy gezeigt hat.

In der Jugend meiner Mutter war sie absolut angesagt und sorgte genauso auch für einen Aufschrei unter den Menschen. Sie war das erste androgyne Model. Ihre Figur war kurzum einfach dünn, ja eigentlich dürr und auch wenn Twiggy keinen Popo und keine üppigen Brüste hatte, so wirkte sie dennoch super sexy. Sie hatte auch kurze Haare und in einer schlichten Hose und einem Shirt konnte man das Model auch leicht mit einem Jungen verwechseln. Vielen war sie zu burschikos, doch Twiggy war die erste, die eine androgyne Figur quasi salonfähig machte.

Auch David Bowie trug viel dazu bei, dass sich Frauen und Männer mit einer androgynen Figur nun nicht mehr komisch und ausgegrenzt anders vorkommen mussten. Seit den 1960-er Jahren gab es nun immer wieder Phasen, in welchen ein androgynes Aussehen hip und angesagt war und danach auch wieder nicht. 

In der heutigen Zeit werden androgyne Figuren immer schneller in eine bestimmte Schublade gesteckt. Das ist absolut schade und auch traurig. Gerade heute, wo alle so nach Diversität rufen. Doch es ist immer noch einfacher von Vielfältigkeit zu sprechen, als diese auch tatsächlich zu leben und umzusetzen. Sexy Frauen heutzutage haben Rundungen. Sie sind zwar schlank und viele würden sich am liebsten sogar ein Rippenpaar entfernen lassen, damit die Taille noch schmaler ist, doch der Popo und der Busen müssen riesig sein. Dafür lassen auch viele Frauen eine der gefährlichsten Schönheits-OPs über sich ergehen. Das ist auch absolut legitim, wenn sich diese Frauen danach in ihrem Körper wohl fühlen und damit zufrieden sind. Was jedoch nicht okay ist, ist andere Menschen mit anderen Figuren zu bashen und automatisch abzustempeln. Wer selbst fordert akzeptiert zu werden, sollte dies auch allen anderen Mitmenschen zukommen lassen. Alles andere wäre doppelmoralisch und schlicht und einfach falsch und unfair. 

Hast du noch nicht herausgefunden, ob du ein Mann oder eine Frau sein möchtest?

Ich weiß sehr wohl wer ich bin und auch was ich bin. Ich möchte auch nicht anders sein und fühle mich in meinem Körper total wohl. Dass ich keine großen Brüste und keine Rundungen habe, das liegt natürlich auch daran, dass ich wenig Gewicht habe. Doch auch das ist nicht unbedingt beabsichtigt. Es gibt Menschen, die haben einen zarten Körperbau und können essen, so viel sie wollen, ohne zuzunehmen. Das ist doch ein Glück und viele andere würden sich das wünschen.

Und ja, ich trage gerne schwarze Hosen, Hemden und Gilets. Ich kleide mich auch gerne sportlich und in Sneakers oder Doc Martens kann ich einfach besser laufen, als in High Heels. Das bedeutet aber nicht, dass ich mich als Mann verkleiden möchte.

Andere haben genauso ihre Vorlieben. Manche tragen nur Kleider oder kurze Röcke, andere lieben den Hippie Look und wieder andere fühlen sich in Jeans und T-Shirt wohl. Wie ich mich kleide hat jedoch nichts mit meiner angeblich nicht gefundenen Identität zu tun. Ganz im Gegenteil. Ich kleide mich bereits so lange ich denken kann in diesem Stil, während andere je nach Mode-Diktatur ihren Style immer wieder ändern.

Bist du der männliche oder weibliche Part in einer homosexuellen Beziehung?

Diese Frage hören androgyne Menschen, egal ob Männer oder Frauen, tagtäglich. Androgynes Aussehen muss aber nicht unbedingt etwas mit der sexuellen Ausrichtung zu tun haben. Ich kenne so viele androgyne Männer, die einfach ein zauberhaft weibliches Gesicht haben. Diese sind aber liebevolle Familienväter und schon ewig in einer heterosexuellen Beziehung.



Genauso kenne ich einige androgyne Frauen, die mit Männern in einer Beziehung leben. Und nein, bei diesen Männern handelt es sich nicht um verkappte Homosexuelle. Das wird in diesen Fällen ja auch häufig angenommen, oder hinter vorgehaltener Hand getuschelt. Eine meiner besten Freundinnen ist ein androgyner Typ. Sie hat freche kurze Haare, ich habe sie noch nie in einem Rock oder Kleid gesehen und sie sieht in ihrem Hosenanzug einfach zauberhaft aus. Ihr Mann ist ein wirklich schöner Kerl, Typ Latin Lover und viele können es nicht glauben, dass so ein schöner Mann gerade mit "so einer" Frau zusammen ist. Wo bleibt hier die Toleranz? Warum können Menschen ihre Nasen nicht in ihre eigenen Angelegenheiten stecken? Warum wird immer alles so oberflächlich bewertet? Ist das Aussehen so enorm wichtig? Ist es in einer Beziehung nicht viel bedeutender, dass man die selben Werte teilt, miteinander lachen, weinen und diskutieren kann und einfach glücklich ist?

Bist du lesbisch/schwul?

Diese Frage müssen wir uns häufig von absolut Fremden stellen lassen. Versteht mich nicht falsch, ich bin absolut gelassen und habe auch kein Problem damit, über meine sexuellen Vorlieben zu sprechen. Doch, ich finde es etwas frech und übergriffig, wenn diese Frage von einer fremden Person kommt, die zufällig in der U-Bahn neben mir steht. 

Tatsächlich wird es von Jahr zu Jahr einfacher und die neugierigen Blicke und das Getuschel werden weniger. Dafür verantwortlich sind die Gender und Diversity Bewegungen. Auch ist es von Vorteil, dass auch in den Medien immer mehr androgyne Menschen zu sehen sind. Es gibt androgyne Models am Laufsteg der großen Designer. Hier laufen sowohl männliche als auch weibliche androgyne Models und stehen für uns als Role-Models ein.

Vielleicht werden die Mitmenschen wirklich entspannter oder aufgeklärter. Heute ist es nicht mehr so wichtig, einem bestimmten Maß zu entsprechen. Und doch haben androgyne Menschen in vielen Bereichen immer noch Nachteile. Alleine bei der Jobsuche oder bei Bewerbungsgesprächen ziehen androgyne Frauen häufig den Kürzeren, wenn sie es in typischen Frauenberufen mit einer offensichtlich sehr weiblichen Konkurrenz zu tun haben. Auch wenn es so ein Klischee ist, eine vollbusige Blondine bekommt garantiert eher den Job als Sekretärin, als eine androgyne Frau. Das ist auf einer Seite traurig, doch die Chancen stehen gut, dass sich auch das in den nächsten paar Jahren ändern wird.