Folgend werden die persönlichen Erfahrungen und Meinungen von Nadine Primo wiedergegeben...
Laut Definition (danke Google) ist Achtsamkeit „die bewusste Wahrnehmung und das Erleben des aktuellen Momentes. Und zwar mit allem, was dazu gehört: Gedanken, Emotionen, Sinneseindrücke, körperliche Vorgänge und alles – einfach alles, was um einen herum geschieht und in die eigene Wahrnehmung fällt.“
Achtsam-sein, sich selbst und seinen Mitmenschen gegenüber. Das Gegenteil von Ignoranz.
Da wären wir auch schon beim Knackpunkt: „…einfach alles, was um einen herum geschieht“. Hierzu gehören die eigenen Mitmenschen, ebenso wie die Umwelt. Was ich damit sagen will? Zuletzt ist mir immer öfters aufgefallen, wie schnell dieser Begriff zweckentfremdet und für die Legitimation des eigenen Egoismus missbraucht wird.
Natürlich hat Selbstliebe auch viel mit dem eigenen Selbstbewusstsein zu tun, denn nur wer sich selbst liebt, ist sich seiner selbst sicher und seiner Großartigkeit bewusst. Dennoch fühlt es sich manchmal so an, als würde die ein oder der andere mit steigendem Selbstbewusstsein, jegliches Bewusstsein für sein/ihr Umfeld verlieren. Grenzen werden auf einmal nicht bloß gesetzt, sondern mit Stacheldraht gesichert und von tiefen Gräben umzäunt.
Auf einmal ist es nicht mehr selbstverständlich, sich gegenseitig zu unterstützen und Sätze wie „Ich bin jederzeit erreichbar für dich.“, weichen indirekten verbalen Schellen wie „Wenn es sein muss, kannst du mich gern kontaktieren, aber bitte via Nachricht und nicht per Telefon. Ach ja, Voice Mail ist auch okay, aber bitte nicht zu lang, denn es ist ja so nervig, diese abzuhören.“.
Empathie geht anders und mit Verständnis hat das erst recht nichts zu tun. Natürlich ist es wichtig, Grenzen zu setzen. Allerdings frage ich mich, welche Ängste bzw. wie viel Genervtheit hier eigentlich wirklich hinter steckt. Diese Aussprüche mit Achtsamkeit und Selbstliebe, wohl eher Selbstschutz, zu begründen, wirkt auf mich völlig verklärt. Man kann Menschen auch helfen oder zuhören, ohne dabei seine eigenen Ressourcen aufs Spiel zu setzen, zumal Achtsamkeit eben auch bedeutet, nicht zu werten und nicht alles auf sich zu beziehen. Demnach sollte der Struggle der anderen, eigentlich kein Problem darstellen.
Yoga ist großartig, Meditation auch. Bei sich selbst (angekommen) sein und im Moment Leben erst recht (wenn es denn funktioniert), aber dazu gehören eben auch negative Aspekte wie Leid und Kummer. Sorgen braucht keiner, hat aber jede/r ab und an. Schön ist es doch, gerade in solchen Momenten zu wissen, dass man nicht allein dasteht.
Verständnis ist Sex für die Seele. Isso! Achtsamkeit hat in meinen Augen auch etwas mit Aufmerksamkeit zu tun, und die wirkt auf das Gegenüber meist wie Wertschätzung und Anerkennung. Streben wir danach nicht letztlich alle?
Man kann seine eigenen Grenzen wahren und sich selbst lieben, während man zugleich andere liebt. In Selbstliebe steckt schließlich nicht umsonst das Wort Liebe und die ist bekanntlich für alle da – im Überfluss, weil wird mehr, wenn man sie teilt. Ihr kennt den Spruch.
Manchmal kommt es mir so vor, als sei die Achtsamkeitsbewegung in manchen Kreisen etwas entartet. Zugegeben, dass wäre nichts neues, denn jeder Trend wird irgendwann ausgenutzt oder radikalisiert. Bietet sich ja auch, denn schließlich müssen neue Trends erstmal erprobt werden. Jede/r testet seine Grenzen und macht erst einmal Erfahrungen. Jedoch wäre es schön, wenn es nicht allein bei „Ich-Erfahrungen“ bleibt.
Damit will ich nicht sagen, dass sich jede/r zu jeder Zeit für alles und jeden aufopfern sollte – absolut nicht. Lasst euch das von einer gesagt sein, die selbst den Fehler begangen hat, sich im Namen der Liebe aufzuopfern und ihr eigenes Wohl an letzte Stelle stellte, bis sie schließlich in eine Co-Abhängigkeit verfiel. (Co-Depressionen, der ein oder andere von euch hat(te) es vielleicht mitbekommen.) Abers selbst diese Erfahrung hindert mich heute nicht daran, weiterhin für mein Umfeld – allen voran meine Freunde – da zu sein. Egal wann, egal wo und auf jeden Fall: immer erreichbar. Egal ob via Text, Anruf, E-Mail, Voicemail oder per Brief.
Für mich ist es eher ein Geschenk zu wissen, dass die Menschen sich an mich wenden und mir damit ihr Vertrauen suggerieren. Ihre Offenheit und Bereitschaft auch Ängste und Kummer zu teilen, sehe ich nicht als Belastung – im Gegenteil! Für mich ist es eine Bereicherung.
Schönmalerei und Schönrederei sehe ich jeden Tag auf Instagram. Reicht mir. Das echte Leben, und dazu gehören eben nun mal auch Problem(chen), spielt sich woanders ab. Offline. Gut-Wetter-Freunde sind vielleicht in der Schulzeit und auch mit Anfang 20 noch super, irgendwann aber einfach nur noch zehrend und enttäuschend.
Das ist – wie immer – alles nicht generalisierend gemeint. Aber ich denke, der ein oder die andere wird sich hier drin wiederfinden; angesprochen fühlen oder was auch immer. Egal in welcher Rolle.
Achtsamkeit fängt bei einem selbst an – ist korrekt. Aber sie hört dort eben nicht auf, sondern geht noch viel weiter… (Mitmenschen, Umwelt etc.)
Ach ja, Karma. Das gibt’s ja auch noch. Wer will, dass ihm Gutes widerfährt, sollte auch bereit sein (selbstlos) Gutes zu tun.
Oder etwa nicht?